Ich bestelle mir beim Bäcker einen Stutenkerl. Und von der netten Bäckereifachverkäuferin werde ich gefragt, ob ich meinen Stutenkerl mit oder ohne Rosinen möchte. Ich gebe klar zu: ich habe hier nicht mitgedacht! Ich habe mich einfach total darüber gefreut, dass sie mich fragt, ob ich Rosinen haben möchte oder nicht. Ich mag Rosinen nicht so gern! „… ohne Rosinen, bitte“.
Was ist hier geschehen?!
Wir leben in einer absoluten Überflussgesellschaft. Durch den großen Wohlstand haben wir die Möglichkeit, dass wir uns jeden unserer individuellen Wünsche erfüllen können. Alle Produkte, alle Waren, jede mögliche Vielfalt wird angeboten. Zudem wird immer mehr personalisiert und möglichst viel wird individuell konfiguriert.
Also bei Knappheit von Lebensmitteln zum Beispiel leben wir von „der Hand in den Mund“ oder von „Wasser und Brot“… Oder die Not macht erfinderisch und es gibt Wassersuppe, Brennnesselsalat, Erdäpfelkekse oder Knödel aus gut gewaschenen und getrockneten Kartoffelschalen. Wenn dann die Knappheit vorüber ist und es Dinge in Hülle und Fülle gibt, dann freut man sich kaputt und schlemmt und speist und suhlt sich…
Und in Deutschland befinden wir uns gerade in letzterem Status: Du bekommst Kuchen, der glutenfrei ist, Wurst, die keine tiereischen Inhaltsstoffe enthält, Milchcafe ohne Milch bzw. mit Milch auf Pflanzenbasis. Selbst der Hund frißt Futter vom Biohof. Und ich bekomme einen Stutenkerl ohne Rosinen. Die Menschen in Deutschland leben nicht in Not, sie leben in Hülle und Fülle mit vielfältigen Möglichkeiten und extrem viel Variationen! Also wir schlemmen und speischen und suhlen uns – aber freuen wir uns darüber auch kaputt?!
Zu Hause packe ich meinen Stutenkerl aus und mich trifft eine logische, jähe Erkenntnis: ohne Rosinen hat mein Stutenkerl keine Augen! Also war das Produkt, obwohl für mich optimiert, nicht mehr das Produkt, das ich eigentlich haben wollte. Soll heißen: Ich wollte einen Stutenkerl! Der hat die Form eines Mannes, hat Augen und trägt im Arm ein Pfeifchen. Mit meinem Wunsch nach Individualität – keine Rosinen, bitte – habe ich mein eigentliches Wunschprodukt zerstört. Ich habe mein Produkt also verschlimmbessert! Als Fazit kann ich sagen: demnächst nehme ich den Stutenkerl mit Rosinenaugen und essen die zwei winzigen vertrockneten Früchtchen entweder einfach mit, oder ich verschenke sie großzügig an die Allesfresser in meinem Rudel…
Was lerne ich von meinem Stutenkerl?!
Naja, irgendwie ist heute alles im Überfluss da. Und wahrscheinlich regelt heute die Nachfrage das Angebot. Aber ist das alles überhaupt notwendig?
Andererseits – was ein tolles, vielfältiges Warenangebot! Lasst uns mehr Dankbarkeit für unseren aktuellen Lebensstil aufbringen – denn selbstverständlich ist dieser auch in 2016 nicht!
Also… inspiriert durch meinen Stutenkerl, das Erntedankfest und Sankt Martin habe ich beschlossen, mich heute mal aktiv zu freuen und dankbar zu sein!
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